DIE BRENNENDEN STEPPEN

Eragon hustete, als Saphira die Rauchschwaden durchbrach und auf den Jiet-Strom zuhielt, der sich hinter dem Dunstschleier verbarg. Er blinzelte und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Die Dämpfe brannten ihm in den Augen.
Näher am Boden klarte die Luft wieder auf, sodass Eragon freie Sicht auf die Umgebung hatte. Der wogende Schleier aus schwarzem und rotem Rauch filterte die Sonnenstrahlen, sodass am Boden alles in einen orange leuchtenden Schimmer getaucht war. Durch vereinzelte Risse in der Rauchdecke fielen hier und da Lichtstrahlen zur Erde und schwebten wie gläserne Säulen über dem Boden, bis Verschiebungen in der Wolkenwand sie wieder zerschnitten.
Der Jiet-Strom lag dick und aufgedunsen vor ihnen wie eine voll gefressene Schlange, und im aufgewühlten Wasser spiegelte sich derselbe gespenstische Lichtschein, der über den brennenden Steppen lag. Wenn hingegen ein ungetrübter Sonnenstrahl auf den Fluss fiel, schimmerte das Wasser kreideweiß wie farbloser, flüssiger Opal und schien ein unheimliches Glühen zu verströmen.
An den Ostufern der schillernden Wasserstraße standen zwei Armeen: im Süden die Varden und die Männer aus Surda, verschanzt hinter mehreren Verteidigungslinien, wo sie eine beeindruckende Front bunter Standarten, etliche Reihen stolzer Zelte und König Orrins Kavallerie aufgestellt hatten. So stark sie auch waren, verblasste ihre Zahl jedoch im Vergleich zur Größe der im Norden stehenden Streitmacht. Galbatorix’ Armee war so gewaltig, dass sich die erste Reihe über eine Breite von drei Meilen erstreckte, und wie weit sich das Heer erstreckte, war nicht auszumachen, denn die Soldaten verschmolzen in der Ferne zu einer einzigen schattenhaften Masse.
Zwischen den beiden Heeren lag ein offenes, etwa zwei Meilen breites Gelände. Wie das Land, auf dem die Soldaten standen, war es von Erdlöchern zerklüftet, in denen grünliche Flammenzungen tanzten. Aus der Tiefe stiegen Rauchwolken auf und verdunkelten die Sonne. Jeder Grashalm, jeder Strauch war versengt, was dem Ganzen zusammen mit den schwarzen, orangefarbenen und braunen Flechten aus der Luft betrachtet ein schorfiges, krankes Aussehen verlieh.
Es war der erschreckendste Anblick, den Eragon je erlebt hatte.
Saphira kam über dem Niemandsland zum Vorschein, das die beiden Armeen voneinander trennte, und flog in einer Linkskurve, so schnell sie konnte, auf die Varden zu, denn solange der Feind freie Sicht auf sie hatte, waren sie durch Angriffe seiner Magier verwundbar. Eragon ließ sein Bewusstsein in allen Himmelsrichtungen nach einem gegnerischen Geist spüren - dem eines Magiers oder einer Person, die sich darauf verstand, Magie abzuwehren.
Doch er nahm lediglich die Panik wahr, die die Wachen der Varden mit einem Mal überkam. Ihm fiel ein, dass viele der Männer Saphira noch nie gesehen hatten. Nun verloren sie vor Angst den Kopf und zielten mit Pfeilen auf sie.
Eragon hob die rechte Hand und rief: »Letta orya Thorna!« Die Pfeile erstarrten in der Luft. Mit einer schnellen Handbewegung leitete er ihre Flugbahn um und schickte sie ins Niemandsland, wo sie sich in den glimmenden Boden bohrten, ohne Schaden anzurichten. Ein Nachzügler, der etwas später abgeschossen worden war, entging ihm allerdings. Er beugte sich, so weit es ging, zur rechten Seite hinüber und pflückte das Geschoss blitzschnell aus der Luft, bevor es Saphira treffen konnte.
Kaum dreißig Meter über dem Boden stellte Saphira die Flügel auf, um den steilen Sinkflug abzubremsen, bevor sie erst mit den Hinter- und dann mit den Vorderbeinen aufsetzte und mitten zwischen den Zelten der Varden zum Stehen kam.
»Werg«, grummelte Orik und öffnete die Lederschnallen, die seine kurzen Beine festhielten. »Ich würde lieber gegen ein Dutzend Kull kämpfen, als noch einmal so einen höllischen Sturzflug mitzumachen!« Er rutschte seitlich aus dem Sattel, sprang auf Saphiras Vorderbein und von dort hinunter auf den Boden.
Während Eragon noch abstieg, scharten sich dutzende Krieger mit ehrfürchtigem Blick um Saphira. Er erkannte einen der Männer, der die anderen um Haupteslänge überragte: Es war Fredric, der Waffenmeister aus Farthen Dûr, der wieder in seinem haarigen Ochsenlederumhang steckte. »Was glotzt ihr so, ihr Tölpel!«, brüllte Fredric. »Steht hier nicht dumm rum! Zurück auf eure Posten, sonst brumme ich euch ein paar Sonderschichten auf!« Die Männer zerstreuten sich wieder; etliche grummelten verdrossen und drehten sich immer wieder nach Saphira um. Dann kam Fredric näher, und Eragon merkte, wie der Mann bei seinem Anblick erschrak. Er versuchte, seine Verlegenheit zu überspielen, indem er forsch salutierte und sagte: »Willkommen, Schattentöter. Ihr kommt gerade rechtzeitig... Ich kann Euch gar nicht sagen, wie sehr es mich beschämt, dass man Euch beschossen hat. Dieser Irrtum ist durch nichts zu entschuldigen. Ist jemand verletzt worden?«
»Nein.«
Erleichterung breitete sich auf Fredrics Gesicht aus. »Welch ein Glück! Ich habe die verantwortlichen Männer umgehend suspendiert. Sie werden ausgepeitscht und ihres Ranges enthoben... Genügt Euch diese Strafe, Schattentöter?«
»Ich möchte sie sehen«, sagte Eragon.
Plötzlich wirkte Fredric besorgt. Offenbar fürchtete er, Eragon könnte auf grausame, übernatürliche Weise Vergeltung an den Schützen üben. Er sprach seine Sorge jedoch nicht aus, sondern sagte lediglich: »Wenn Ihr mir bitte folgen würdet, Herr.«
Dann führte er sie durch das Lager zu einem gestreiften Zelt, in dem sich etwa zwanzig missmutig dreinblickende Soldaten unter den scharfen Blicken von einem Dutzend Bewachern ihrer Waffen und Rüstungen entledigten. Als die Gefangenen Eragon und Saphira erblickten, fielen sie auf die Knie, senkten die Köpfe und riefen wie aus einem Mund: »Seid gegrüßt, Schattentöter!«
Eragon schritt wortlos die Reihe der Männer ab und studierte ihren Geist. Seine Stiefel sanken unter lautem Knirschen in die siedende Erdkruste ein. Schließlich sprach er: »Ihr könnt stolz darauf sein, dass ihr so schnell auf unser Erscheinen reagiert habt. Falls Galbatorix angreift, solltet ihr genau das Gleiche tun, auch wenn ich bezweifle, dass eure Pfeile gegen ihn mehr ausrichten werden als gegen Saphira und mich.« Die Soldaten schauten ungläubig zu ihm auf. In dem vielfarbigen Lichtschein hatten ihre Gesichter die Farbe von stumpfem Messing. »Ich möchte nur darum bitten, dass ihr euch künftig einen Moment Zeit nehmt, um euer Ziel zu identifizieren, bevor ihr schießt. Nächstes Mal bin ich vielleicht zu beschäftigt, um eure Pfeile aufzuhalten. Habt ihr mich verstanden?«
»Ja, Schattentöter!«, riefen sie.
Vor dem vorletzten Mann in der Reihe blieb Eragon stehen und reichte ihm den Pfeil, den er aus der Luft gepflückt hatte. »Ich glaube, der gehört dir, Harwin.«
Verwundert nahm der Soldat den Pfeil entgegen. »Stimmt! Hier ist der weiße Strich, mit dem ich die Schäfte meiner Pfeile kennzeichne, damit ich sie später wieder finden kann. Vielen Dank, Schattentöter.«
Eragon nickte und sagte dann für alle vernehmlich zu Fredric: »Das sind gute, ehrliche Männer. Ich möchte nicht, dass man sie wegen des Vorfalls bestraft.«
»Wie Ihr wünscht, Argetlam«, sagte Fredric lächelnd.
»Kannst du uns nun zu Nasuada führen?«
»Ja, Herr.«
Als er die Soldaten verließ, wusste Eragon, dass er mit seiner Großzügigkeit ihre bedingungslose Loyalität gewonnen hatte und dass sich seine edelmütige Reaktion bei den Varden herumsprechen würde.
Während Fredric ihn zwischen den Zelten entlangführte, spürte Eragon stärker als je zuvor die Gedanken der Menschen um ihn herum. Hunderte von Bildern, Gefühlen und Sinneseindrücken drängten in sein Bewusstsein. Trotz seines Bemühens, sie von sich fern zu halten, sah er unfreiwillig zahllose Einzelheiten aus dem Leben dieser Leute. Einige Offenbarungen bedeuteten ihm nichts, andere entsetzten ihn und stießen ihn ab und etliche fand er einfach beschämend. Einige der Menschen nahmen die Welt so unterschiedlich wahr, dass ihr Geist allein wegen dieser Unterschiede aus der Menge hervorstach.
Wie leicht es ist, all diese Menschen als bloße Objekte zu betrachten, die ich und einige andere nach Herzenslust manipulieren können. Und doch ist jeder von ihnen eine eigenständige Person mit Hoffnungen und Träumen, mit Wünschen und Gefühlen und Erinnerungen.
Einige der Personen, deren Geist er berührte, bemerkten den Kontakt und wichen davor zurück oder verbargen ihr Innenleben hinter unterschiedlich starken Schutzwällen. Das beunruhigte Eragon zunächst - er glaubte, eine Gruppe von Feinden entdeckt zu haben, die die Varden infiltriert hatten -, aber dann wurde ihm rasch klar, dass es sich bei diesen Personen um die einzelnen Mitglieder der Du Vrangr Gata handelte.
Sie müssen eine Heidenangst haben und annehmen, jeden Moment von einem mächtigen Magier angegriffen zu werden, sagte Saphira.
Ich kann sie nicht vom Gegenteil überzeugen, solange sie sich mir verschließen.
Du solltest sie möglichst bald aufsuchen, bevor sie uns mit vereinten Kräften angreifen.
In Ordnung - obwohl ich nicht glaube, dass sie eine Gefahr für uns darstellen... Du Vrangr Gata - allein ihr Name kündet schon von ihrer Ignoranz. In der alten Sprache müsste es nämlich genau andersherum heißen: Du Gata Vrangr.
Ihr Marsch endete vor einem großen roten Pavillon, über dem eine Fahne flatterte, in die ein schwarzer Schild und darunter zwei gekreuzte Schwerter eingestickt waren. Fredric zog die Plane zurück, und Eragon und Orik traten hinein. Hinter ihnen schob Saphira den Kopf durch die Öffnung und schaute ihnen über die Schultern.
Ein breiter Tisch stand in der Mitte des möblierten Zeltes. Am einen Ende stand Nasuada und studierte eine Vielzahl Landkarten und Schriftrollen. Eragons Magen zog sich zusammen, als er ihr gegenüber Arya erblickte. Beide Frauen trugen Schlachtrüstungen.
Nasuada wandte ihm ihr mandelförmiges Gesicht zu. »Eragon?«, flüsterte sie ungläubig.
Er hatte nicht erwartet, dass er sich so freuen würde, sie wiederzusehen. Mit einem breiten Grinsen führte er im traditionellen Elfengruß die Fingerspitzen an die Lippen und verneigte sich. »Euch zu Diensten.«
»Eragon!« Diesmal klang Nasuada überglücklich und erleichtert. Auch Arya schien sich zu freuen. »Wie hast du unsere Botschaft so schnell bekommen?«
»Habe ich gar nicht. Ich habe mit der Traumsicht von Galbatorix’ Aufmarsch erfahren und Ellesméra noch am selben Tag verlassen.« Er lächelte sie erneut an. »Es ist schön, wieder bei den Varden zu sein.«
Während er sprach, betrachtete Nasuada ihn verwundert. »Was ist mit dir passiert, Eragon?«
Anscheinend hat ihr Arya nichts gesagt, bemerkte Saphira.
Und so schilderte Eragon ihr in allen Einzelheiten, was ihm und Saphira seit ihrer Abreise aus Farthen Dûr widerfahren war. Vieles, was er berichtete, schien sie bereits gehört zu haben, entweder von den Zwergen oder von Arya, doch sie ließ ihn ohne Unterbrechung erzählen. Über seine Ausbildung durfte Eragon nicht allzu viel verraten. Er hatte sein Wort gegeben, Oromis’ Existenz zu verschweigen, und die meisten Inhalte seines Unterrichts durfte er mit niemandem teilen, doch er tat sein Bestes, um Nasuada eine gute Vorstellung von seinen Fähigkeiten und den damit einhergehenden Gefahren zu vermitteln. Über den Agaetí Blödhren sagte er nur: »... und bei der Abschlusszeremonie haben die Drachen die Verwandlung über mich gebracht, die du nun siehst, mir die körperlichen Fähigkeiten der Elfen verliehen und meinen Rücken geheilt.«
»Dann ist die Narbe also verschwunden?«, fragte Nasuada. Er nickte. Dann fasste er mit wenigen Sätzen noch einmal zusammen, warum sie Du Weldenvarden verlassen hatten und was sich seither ereignet hatte. Sie schüttelte den Kopf. »Was für eine Geschichte! Du und Saphira, ihr habt viel erlebt seit eurer Abreise aus Farthen Dûr.«
»Du auch.« Er deutete auf das Zelt. »Es ist erstaunlich, was du alles erreicht hast. Es muss eine gewaltige Anstrengung gewesen sein, die Varden nach Surda zu führen... Hat der Ältestenrat dir viele Probleme bereitet?«
»Ein paar, aber nichts Unerwartetes. Sie scheinen sich mit meiner Führerschaft abgefunden zu haben.« Ihr Kettenhemd klirrte, als Nasuada sich auf einen großen, hochlehnigen Stuhl setzte und sich an Orik wandte, der bislang noch kein Wort gesagt hatte. Sie begrüßte ihn und fragte, ob er Eragons Geschichte noch etwas hinzufügen wolle. Orik zuckte mit den Schultern und steuerte einige Anekdoten von ihrem Aufenthalt in Ellesméra bei, doch Eragon vermutete, dass der Zwerg sich die wirklich spannenden Beobachtungen für seinen König aufsparte.
Als er fertig war, sagte Nasuada: »Es freut mich zu hören, dass die Elfen uns zur Seite stehen werden, falls wir dem ersten Ansturm standhalten können. Habt ihr unterwegs Hrothgars Krieger gesehen? Wir brauchen sie unbedingt, wenn wir diese Schlacht gewinnen wollen.«
Nein, sagte Saphira durch Eragon. Aber es war dunkel, und ich bin oft über den Wolken geflogen, deshalb habe ich ihr Lager vielleicht nicht bemerkt. Aber ich glaube, unsere Wege hätten sich ohnehin nicht gekreuzt, denn ich bin von Aberon direkt hierher geflogen und die Zwerge haben vermutlich eine andere Route gewählt. Wahrscheinlich haben sie die Straßen genommen, um nicht mitten durch die Wildnis marschieren zu müssen.
»Wie ist hier die Lage?«, fragte Eragon.
Nasuada seufzte und berichtete, wie sie und Orrin von Galbatorix’ Angriffsplänen erfahren und welche verzweifelten Maßnahmen sie ergriffen hatten, um die brennenden Steppen vor der Ankunft der feindlichen Armee zu erreichen. »Das Imperium traf vor drei Tagen hier ein. Wir haben zwei Botschaften ausgetauscht. Zuerst forderten sie uns auf zu kapitulieren, was wir natürlich abgelehnt haben. Seitdem warten wir auf ihre Antwort.«
»Wie groß ist Galbatorix’ Streitmacht?«, fragte Orik. »Aus der Luft sah sie gewaltig aus.«
»Das ist sie auch. Wir schätzen, dass es gut und gerne hunderttausend Soldaten sind.«
Eragon konnte es kaum glauben. »Hunderttausend! Wie konnte er so viele rekrutieren? Es kann doch höchstens ein paar hundert Männer geben, die Galbatorix freiwillig dienen!«
»Sie hatten keine Wahl: Sie wurden gezwungen. Wir können nur hoffen, dass die Männer, die aus ihren Familien gerissen wurden, nicht auf eine Schlacht erpicht sind. Falls es uns gelingt, ihnen richtig Angst einzujagen, werden sie vielleicht ihre Stellungen verlassen und fliehen. Wir sind jetzt zwar viel mehr als damals in Farthen Dûr, weil inzwischen auch König Orrins Streitmacht an unserer Seite steht und sich ständig neue Freiwillige melden, seit wir die Kunde über dich, Eragon, verbreitet haben. Aber wir sind trotzdem deutlich schwächer als das Imperium.«
Dann wollte Saphira etwas wissen und Eragon musste die furchtbare Frage wiederholen: Wie stehen deiner Meinung nach unsere Chancen auf einen Sieg?
»Das«, sagte Nasuada und wählte ihre Worte mit Bedacht, »hängt zum Großteil von dir und Eragon und der Anzahl von Magiern in den feindlichen Reihen ab. Wenn ihr sie finden und unschädlich machen könnt, ist der Feind ungeschützt, und ihr könnt ihn bedenkenlos angreifen. Ein schneller Sieg ist zum jetzigen Zeitpunkt allerdings unwahrscheinlich, aber vielleicht können wir den Truppen des Imperiums so lange standhalten, bis ihnen die Vorräte ausgehen oder bis die Elfen uns zu Hilfe kommen. Das heißt... falls Galbatorix nicht persönlich in die Schlacht eingreift. In diesem Fall müssten wir uns wohl zurückziehen.«
In dem Moment nahm Eragon einen sonderbaren Geist wahr, jemanden, der wusste, dass er ihn beobachtete, und doch vor dem Kontakt nicht zurückschreckte - jemanden, dessen Geist sich kalt, hart und berechnend anfühlte. Alarmiert schaute Eragon in den hinteren Bereich des Pavillons, wo er dasselbe schwarzhaarige Mädchen erblickte, das ihm schon im Rasierspiegel erschienen war, als er Nasuada mit der Traumsicht beobachtet hatte. Die Kleine starrte aus purpurnen Augen zu ihm herüber und sagte: »Willkommen, Schattentöter. Willkommen, Saphira.«
Eragon schauderte, als er ihre Stimme vernahm - die Stimme einer Erwachsenen. Er leckte sich über die trockenen Lippen und fragte: »Wer bist du?«
Ohne zu antworten, strich sich das Mädchen die fransigen Haarsträhnen aus dem Gesicht und enthüllte das Drachenmal auf seiner Stirn, das genauso aussah wie Eragons Gedwëy Ignasia. Da wusste er, wem er gegenüberstand.
Keiner rührte sich, als Eragon zu dem Mädchen ging. Nur Saphira schob den Kopf tiefer ins Zelt hinein. Eragon sank auf ein Knie und nahm die rechte Hand der Kleinen in seine. Ihre Haut war heiß, als hätte sie Fieber. Sie widersetzte sich nicht, ließ aber die Hand nur schlaff in seiner liegen. In der alten Sprache und zugleich im Geiste, damit sie es verstand, sagte Eragon: »Es tut mir so Leid! Kannst du mir verzeihen, was ich dir angetan habe?«
Der Blick des Mädchens wurde weicher und sie beugte sich vor und hauchte Eragon einen Kuss auf die Stirn. »Ich verzeihe dir«, flüsterte sie und klang zum ersten Mal wie ein Kind ihres Alters. »Ich kann gar nicht anders! Du und Saphira habt mich zu der gemacht, die ich heute bin, und ich weiß, dass ihr nichts Böses beabsichtigt habt. Ich verzeihe dir, aber folgendes Wissen soll dir auf der Seele lasten: Du hast mich dazu verurteilt, all das Leid wahrzunehmen, das mich umgibt. Selbst jetzt, in diesem Augenblick, treibt mich dein... Segen dazu, einem Mann zu Hilfe zu eilen, der sich keine drei Zelte entfernt in die Hand geschnitten hat, weil er einem jungen Fahnenträger helfen wollte, der sich in den Radspeichen eines Streitwagens den Zeigefinger gebrochen hat. Und ich spüre zahllose andere Menschen, die sich gerade verletzt haben oder sich gleich verletzen werden, und möchte am liebsten allen helfen. Es kostet mich immense Kraft, diesem Drang zu widerstehen, besonders wenn ich, wie in diesem Fall, den Mann ganz deutlich vor mir sehe… Ich kann nachts nicht schlafen, so stark ist der innere Zwang. Das ist dein Vermächtnis an mich, Drachenreiter.« Ihre Stimme hatte wieder den bitteren, spöttischen Tonfall angenommen.
Saphira schob den Kopf zwischen die beiden und berührte mit der Schnauze das Drachenmal auf der Stirn der Kleinen. Friede, Wechselbalg! Du trägst viel Wut im Herzen.
»Du musst nicht für immer so leben«, sagte Eragon. »Die Elfen haben mir beigebracht, wie man einen Zauber zurücknimmt, und ich glaube, ich kann dich von diesem Fluch befreien. Es ist sehr kräftezehrend, aber man kann es schaffen.«
Einen Moment lang schien das Mädchen seine bemerkenswerte Selbstbeherrschung zu verlieren. Ein kleines Seufzen entfleuchte ihren Lippen, ihre Hand, die Eragon noch immer hielt, zitterte, und in ihren Augen schimmerten Tränen. Dann verbarg sie ihre wahren Gefühle schnell wieder hinter einer Maske aufgesetzter Unbekümmertheit. »Nun, wir werden sehen. Wenn überhaupt, dann solltest du es erst nach der bevorstehenden Schlacht versuchen.«
»Ich könnte dir viel Schmerz ersparen.«
»Es wäre aber nicht gut, wenn du dich überanstrengst, wo doch unser Überleben von deinem Einsatz abhängt. Ich leide nicht unter Größenwahn: Du bist wichtiger als ich.« Ein listiges Lächeln überflog ihr Gesicht. »Wenn du den Zauber jetzt zurücknimmst, kann ich außerdem keinem der Varden mehr helfen, wenn er in eine gefährliche Situation gerät. Du möchtest doch nicht, dass Nasuada deshalb stirbt, oder?«
»Nein«, bekannte Eragon. Er schwieg eine Weile und dachte nach, dann sagte er: »Na gut, ich warte. Aber ich schwöre dir: Falls wir diese Schlacht gewinnen, werde ich meinen Fehler wieder gutmachen.«
Das Mädchen neigte den Kopf zur Seite. »Ich nehme dich beim Wort, Drachenreiter.«
Nasuada erhob sich aus ihrem Stuhl und sagte: »Elva hat mich in Aberon vor einem gedungenen Mörder gerettet.«
»Tatsächlich? Dann stehe ich in deiner Schuld... Elva... denn du hast meine Lehnsherrin geschützt.«
»Kommt jetzt«, sagte Nasuada. »Ich muss euch dreien Orrin und seinen Adeligen vorstellen. Bist du dem König schon einmal begegnet, Orik?«
Der Zwerg schüttelte den Kopf. »Ich war noch nie so weit im Westen.«
Als sie das Zelt verließen - Nasuada mit Elva an ihrer Seite vorneweg -, versuchte Eragon, in Aryas Nähe zu gelangen, um mit ihr zu reden, doch als er auf sie zuging, beschleunigte sie ihre Schritte und schloss zu Nasuada auf. Unterwegs sah Arya ihn kein einziges Mal an, und das verletzte Eragon mehr als jede körperliche Wunde, die er sich irgendwann einmal zugezogen hatte. Elva schaute zu ihm zurück, und er wusste, dass sie wahrnahm, wie er sich fühlte.
Wenig später erreichten sie ein weiteres großes Zelt. In dem orangefarbenen Licht, das über allem lag, war es schwierig, seinen Farbton genau zu bestimmen. Als man ihnen Einlass gewährte, sah Eragon erstaunt, dass der Innenraum mit einer skurrilen Sammlung von Messbechern, Destillierkolben, Reagenzgläsern und anderen naturwissenschaftlichen Instrumenten angefüllt war. Wieso schleppt jemand all dieses Zeug auf ein Schlachtfeld?, fragte er sich verwundert.
»Eragon«, sagte Nasuada, »ich möchte dir Orrin vorstellen, den Sohn von Larkin und König von Surda.«
Aus den Tiefen des gläsernen Durcheinanders tauchte ein großer, gut aussehender Mann mit schulterlangem Haar auf, das von einer kleinen Goldkrone gebändigt wurde. Sein Geist war, ebenso wie der von Nasuada, von eisernen Mauern umgeben. Es war offensichtlich, dass man ihn in dieser Fertigkeit intensiv unterwiesen hatte. Während ihrer Unterhaltung stellte Eragon fest, dass Orrin ein freundlicher Mensch war, wenn auch ein wenig grün hinter den Ohren, was den Umgang mit Truppen in einer Schlacht betraf, und auch ansonsten ein paar sonderbare Eigenarten besaß. Alles in allem setzte Eragon mehr Vertrauen in Nasuadas Führung als in die des schrulligen Monarchen.
Nachdem er dutzenden von Orrins Fragen nach seinem Aufenthalt bei den Elfen ausgewichen war, musste Eragon einen Aufmarsch von Grafen über sich ergehen lassen und jedem höflich zunicken, Hände schütteln und sich anhören, was für eine Ehre es für sie sei, einen Drachenreiter kennen zu lernen. Natürlich luden sie ihn auch auf ihre Anwesen ein. Pflichtbewusst prägte Eragon sich all ihre Namen und Titel ein - er wusste, dass Oromis dies von ihm erwarten würde - und gab sich Mühe, trotz seiner wachsenden Ungeduld Haltung zu wahren.
Wir stehen kurz davor, gegen eine der größten Armeen aller Zeiten in die Schlacht zu ziehen, und stehen hier herum und faseln dummes Zeug!
Hab Geduld, sagte Saphira. So viele sind es ja nicht mehr… Außerdem - sieh es mal so: Wenn wir gewinnen, müssen sie uns mindestens ein Jahr lang umsonst verköstigen, bei all den Versprechen, die sie geben.
Er verkniff sich ein Kichern. Ich glaube, ihnen würde der Schreck in die Glieder fahren, wenn sie wüssten, wie viel es braucht, um dich satt zu bekommen! Ganz davon zu schweigen, dass du in einer einzigen Nacht ihre gesamten Bier- und Weinkeller leer saufen kannst.
Das würde ich nie tun, schnaubte sie, fügte dann aber schelmisch hinzu: Vielleicht in zwei Nächten.
Als sie die Prozedur endlich hinter sich gebracht hatten, fragte Eragon Nasuada: »Was soll ich tun? Wie kann ich dir zu Diensten sein?«
Nasuada sah ihn mit fragender Miene an. »Was glaubst du denn, wie du mir am besten dienen kannst, Eragon? Du kennst deine Fähigkeiten besser als ich.« Sogar Arya musterte ihn jetzt und wartete auf seine Antwort.
Eragon schaute zum blutroten Himmel hinauf und überlegte. »Ich werde den Befehl über die Du Vrangr Gata übernehmen, so wie sie es einst gewollt haben, und sie in die Schlacht führen. Wenn wir zusammenarbeiten, haben wir bessere Chancen, gegen Galbatorix’ Magier anzukommen.«
»Das ist eine ausgezeichnete Idee.«
Gibt es einen Ort, fragte Saphira, wo Eragon seine Taschen abstellen kann? Ich möchte sie und diesen Sattel nicht die ganze Zeit herumschleppen müssen.
Als Eragon ihre Frage wiederholte, sagte Nasuada: »Natürlich. Du kannst sie erst einmal in meinen Pavillon bringen. Ich werde ein Zelt für dich aufstellen lassen, Eragon, dort kannst du euer Gepäck dann verstauen. Ich würde allerdings vorschlagen, dass du deine Rüstung anlegst, bevor du die Sachen wegpackst. Es könnte jederzeit notwendig werden... Ah, da fällt mir ein, wir haben dir deine Rüstung mitgebracht, Saphira. Ich lasse sie holen.«
»Und was ist mit mir?«, fragte Orik.
»Es sind einige Knurlan vom Dûrgrimst Ingietum hier, die uns beim Bau der Verteidigungslinien geholfen haben. Wenn du willst, kannst du sie befehligen.«
Orik schien die Aussicht zu erfreuen, nach langer Zeit wieder ein paar Zwerge zu Gesicht zu bekommen, besonders aus seinem eigenen Clan. Er schlug sich mit der Faust gegen die Brust und sagte: »Das mache ich! Wenn Ihr mich bitte entschuldigen würdet, ich gehe am besten sofort an die Arbeit.« Ohne noch einmal zurückzuschauen, trottete er in nördlicher Richtung zur Brustwehr los.
Als die übrigen vier den Pavillon erreichten, sagte Nasuada zu Eragon: »Gib mir Bescheid, wenn du mit der Du Vrangr Gata alles geregelt hast.« Dann zog sie die Eingangsplane zum Pavillon zur Seite und verschwand mit Elva in der dunklen Öffnung.
Als Arya ihnen folgen wollte, griff Eragon nach ihrem Arm und sagte in der alten Sprache: »Warte!« Die Elfe blieb stehen und sah ihn ausdruckslos an. Er erwiderte ihren Blick und schaute ihr tief in die Augen, in denen sich das merkwürdige Licht um sie herum spiegelte. »Ich entschuldige mich nicht für das, was ich für dich empfinde. Aber ich möchte, dass du weißt, wie Leid mir mein Verhalten während der Blutschwur-Zeremonie tut. Ich war nicht ich selbst in jener Nacht, sonst wäre ich niemals so direkt gewesen.«
»Und du wirst es nie wieder tun?«
Er unterdrückte ein humorloses Lachen. »Es ist ohnehin vergebens, oder?« Als sie nichts darauf sagte, fügte er an: »Ich möchte nicht, dass du dich meinetwegen ärgerst, selbst wenn du...« Den letzten Teil des Satzes ließ er unausgesprochen, denn er wollte nichts sagen, was er hinterher bereuen würde.
Aryas Züge wurden weicher. »Ich möchte dir nicht wehtun, Eragon. Das sollst du verstehen.«
»Das verstehe ich ja«, sagte er, klang dabei aber nicht sehr überzeugend.
Es folgte ein ungemütliches Schweigen, das sich eine kleine Weile hinzog. »Euer Flug verlief problemlos?«
»Ja.«
»Hattet ihr keine Schwierigkeiten in der Wüste?«
»Hätten wir denn welche haben sollen?«
»Nein, ich wollte es bloß wissen.« Dann fragte Arya mit noch sanfterer Stimme: »Und was ist mit dir, Eragon? Wie geht es dir seit der Zeremonie? Ich habe gehört, was du Nasuada erzählt hast, aber du hast nur über deinen Rücken gesprochen.«
»Ich...« Er versuchte zu lügen - er wollte sie nicht wissen lassen, wie sehr er sie vermisst hatte. Aber die alte Sprache hinderte ihn daran zu sagen, was er eigentlich sagen wollte, und ließ ihn verstummen. Schließlich verlegte er sich auf eine Technik der Elfen, bei der man nur einen Teil der Wahrheit aussprach, um das Gegenteil der tatsächlichen Sachlage zu vermitteln. »Es geht mir besser als vorher«, sagte er und beschrieb damit lediglich den Zustand seines Rückens.
Trotz seines kleinen Tricks schien Arya nicht überzeugt zu sein. Sie bohrte jedoch nicht weiter nach, sondern sagte nur: »Das freut mich.« Aus dem Pavillon drang Nasuadas Stimme zu ihnen heraus, und Arya schaute sich kurz um, bevor sie ihn wieder ansah. »Ich werde gebraucht, Eragon… Wir werden beide gebraucht. Die Schlacht steht uns kurz bevor.« Sie hob die Plane an und trat einen Schritt ins Halbdunkel des Zeltes, dann blieb sie noch einmal stehen und sagte: »Pass auf dich auf, Eragon Schattentöter!«
Dann war sie verschwunden.
Vor lauter Enttäuschung blieb Eragon wie angewurzelt stehen. Er hatte erreicht, was er wollte, doch es schien sich zwischen ihm und Arya nichts geändert zu haben. Resigniert ballte er die Fäuste und starrte mit hochgezogenen Schultern zu Boden, ohne etwas zu sehen.
Er schrak zusammen, als Saphira ihn mit der Schnauze anstupste. Komm, Kleiner, sagte sie sanft. Du kannst hier nicht ewig rumstehen. Außerdem fängt der Sattel allmählich an zu jucken.
Eragon trat neben sie, nahm ihr die Halsschlaufe ab und fluchte leise, als sie an einer Schnalle hängen blieb. Fast hoffte er, das Leder würde zerreißen. Dann öffnete er die restlichen Gurte und ließ den Sattel und alles, was daran hing, in einem wirren Haufen zu Boden fallen. Ah, tut das gut, das Ding los zu sein, sagte Saphira und schüttelte ihre massigen Schultern aus.
Eragon holte seine Rüstung aus den Satteltaschen und legte das glänzende Kriegskleid an. Als Erstes streifte er sich das Kettenhemd über das Elfenwams, dann legte er die Arm- und Beinschienen an. Auf den Kopf kam die ausgepolsterte Lederkappe, darüber die Kettenhaube aus gehärtetem Stahl und dann der Helm aus Gold und Silber. Zuletzt streifte er noch die Panzerhandschuhe über.
An seiner linken Hüfte hing Zar’roc am Gürtel von Beloth dem Weisen. Auf den Rücken schnallte er sich den Köcher mit den schwanenfederbesetzten Pfeilen, die Islanzadi ihm geschenkt hatte. Erfreut stellte er fest, dass sich sogar ein Haken daran befand, an dem er den Bogen befestigen konnte.
Nachdem er seine und Oriks Habseligkeiten in den Pavillon geräumt hatte, begaben sich Eragon und Saphira auf die Suche nach Trianna, der gegenwärtigen Anführerin der Du Vrangr Gata. Nach wenigen Schritten spürte Eragon ein Wesen, dessen Geist mit einem Schutzschild versehen war. In der Annahme, dass es sich um einen der Magier der Varden handelte, machten sie sich auf die Suche nach der Person.
Kaum eine Minute später erreichten sie ein kleines grünes Zelt, vor dem ein Esel angepflockt war. Links daneben hing an einem metallenen Gestell ein rußiger Kessel über einem der scheußlich riechenden Feuerschächte. Um den Kessel herum hingen Bündel von Nachtschatten, Schierling, Rhododendron, Sabinen, Eibenrinde und verschiedenen Pilzen, die Eragon aus seinem Unterricht bei Oromis als giftig kannte. Und neben dem Kessel stand Angela, die Kräuterhexe, und rührte mit einem langen Stecken in dem Gebräu herum. Zu ihren Füßen saß Solembum.
Die Werkatze maunzte, und Angela schaute auf, das schweißglänzende Gesicht von wallenden Korkenzieherlocken umrahmt. Sie runzelte die Stirn und ihr Gesichtsausdruck wirkte schaurig im Lichtschein der grünen Flammen. »Ah, ihr seid zurück.«
»Ja.«
»Ist das alles, was du zu sagen hast? Hast du Elva schon kennen gelernt? Hast du gesehen, was du dem armen Mädchen angetan hast?«
»Ja.«
»Ja, ja, ja!«, rief Angela aus. »Wie kann man nur so einsilbig sein? Da bist du so lange bei den Elfen in Ellesméra gewesen, und dir fällt nichts weiter ein als ›Ja‹? Hör zu, du Einfaltspinsel: Jemand, der solchen Unfug verzapft hat wie du, verdient es...«
Eragon faltete die Hände auf dem Rücken und wartete, während Angela ihm in den schillerndsten Farben vorbetete, was für ein gewaltiger Trottel er sei, welch debile Vorfahren er gehabt haben müsse, um so ein Hohlkopf zu werden - sie ging sogar so weit anzudeuten, dass sich unter seinen Großeltern wohl jemand mit einem Urgal eingelassen haben müsse - und welche grässlichen Strafen er für seine idiotische Tat verdient habe. Hätte ihn ein anderer in dieser Art und Weise beleidigt, Eragon hätte ihn zum Duell gefordert, doch Angelas Wortschwall ließ er geduldig über sich ergehen, weil er wusste, dass man bei ihr nicht dieselben Maßstäbe anlegen konnte wie bei anderen Leuten - und vor allem, weil ihr Zorn gerechtfertigt war. Ihm war ja tatsächlich ein schrecklicher Fehler unterlaufen.
Als sie schließlich innehielt, um Luft zu holen, sagte er: »Du hast völlig Recht, und ich werde nach der Schlacht versuchen, die Kleine von dem Zauber zu befreien.«
Angela blinzelte dreimal hintereinander, spitzte verblüfft die Lippen und klappte dann den Mund zu. Mit argwöhnischem Blick fragte sie: »Sagst du das bloß, um mich zu beschwichtigen?«
»Das würde ich niemals tun.«
»Du hast wirklich vor, den Zauber zurückzunehmen? Ich dachte, so etwas geht nicht.«
»Die Elfen beherrschen die unglaublichsten magischen Kniffe.«
»Aha... Na, dann wäre das ja geregelt.« Sie lächelte ihn breit an, wandte sich dann zu Saphira um und tätschelte ihre Kinnbacken. »Schön, dich wiederzusehen, Saphira! Bist ganz schön gewachsen!«
Du nicht, Braunlocke, aber ich freue mich trotzdem, dich zu sehen.
Als Angela fortfuhr, in ihrem Gebräu zu rühren, sagte Eragon: »Deine Schimpftirade war ganz schön beeindruckend.«
»Danke. Ich habe auch wochenlang daran gearbeitet. Schade, dass du das Ende nicht gehört hast. Das wäre wirklich beeindruckend gewesen. Wenn du willst, hole ich es nach.«
»Ach, das muss nicht sein. Ich kann es mir ungefähr vorstellen.« Er betrachtete sie aus dem Augenwinkel und sagte: »Du scheinst dich gar nicht über mein Aussehen zu wundern.«
Die Kräuterhexe zuckte mit den Schultern. »Ich habe meine Informanten. Ich finde, du siehst jetzt besser aus. Vorher warst du noch ein bisschen... wie soll ich sagen? Unfertig
»Das stimmt.« Er deutete auf die herabhängenden Pflanzen. »Was hast du damit vor?«
»Ach, das ist nur ein kleines Experiment, sozusagen.«
»Hmm.« Eragon betrachtete das Farbmuster eines getrockneten Pilzes, der vor seiner Nase baumelte, und fragte: »Hast du inzwischen herausgefunden, ob es Kröten wirklich gibt?«
»Na, und ob! Es scheint, dass alle Kröten Frösche sind, aber nicht alle Frösche sind Kröten. So gesehen, gibt es Letztere also gar nicht, und das bedeutet, dass ich von Anfang an Recht hatte.« Sie hörte auf zu rühren, beugte sich zur Seite, nahm einen Becher von der Holzbank neben sich und reichte ihn Eragon. »Hier, frischer Tee.«
Beklommen schaute Eragon auf die todbringenden Pflanzen vor ihm und dann wieder in Angelas offenes Gesicht, bevor er ihr den Becher abnahm. Ganz leise, damit die Kräuterhexe es nicht hörte, murmelte er drei Zaubersprüche, um festzustellen, ob der Tee vergiftet war. Erst danach wagte er, daran zu nippen. Er war köstlich, auch wenn Eragon die Zutaten nicht identifizieren konnte.
In diesem Augenblick schlenderte Solembum zu Saphira, machte einen Buckel und rieb sich an ihrem Bein, wie eine ganz normale Katze. Saphira verdrehte den Hals und stupste Solembum an. Ich bin in Ellesméra jemandem begegnet, der dich kennt.
Solembum hielt inne und legte den Kopf schräg. Wirklich?
Ja. Ihr Name war Flinktatze und Traumtänzerin, aber die meisten haben sie Maud genannt.
Solembums Augen weiteten sich. Er stieß ein tiefes, kehliges Schnurren aus und rieb sich mit neuem Eifer an Saphira.
»So«, sagte Angela, »ich gehe davon aus, dass du bereits mit Nasuada, Arya und König Orrin gesprochen hast.« Er nickte. »Was hältst du vom guten alten Orrin?«
Eragon wählte seine Worte mit Bedacht, denn ihm war bewusst, dass sie über einen König sprachen. »Nun... er scheint viele verschiedene Interessen zu haben.«
»Ja, er ist durchgedreht wie ein Narr beim Mittsommernachtsfest. Andererseits sind wir das doch alle irgendwie.«
Amüsiert über ihre Freimütigkeit, sagte Eragon: »Er muss verrückt sein, so viel Glas mit sich herumzuschleppen.«
Angela hob eine Augenbraue. »Wovon redest du?«
»Bist du noch nicht in seinem Zelt gewesen?«
»Im Gegensatz zu anderen«, sagte Angela, »schmeichle ich mich nicht bei jedem Monarchen ein, der mir über den Weg läuft.« Und so beschrieb er ihr die zahllosen Instrumente, die Orrin zu den brennenden Steppen mitgebracht hatte. Angela lauschte interessiert. Sobald er fertig war, widmete sie sich wieder dem Gebräu in ihrem Kessel und nahm verschiedene Pflanzen von den Schnüren ab - einige davon mit einer Zange. »Ich glaube, ich muss Orrin mal einen kleinen Besuch abstatten. Ihr beiden werdet mir ein anderes Mal von Ellesméra erzählen... So, und nun verdrückt euch! Los!«
Eragon schüttelte den Kopf, als die kleine, stämmige Frau ihn und Saphira von ihrem Zelt verscheuchte, während er noch immer den Teebecher in der Hand hielt. Mit ihr zu reden, ist immer...
Sonderbar?, schlug Saphira vor.
Genau.

 

 

Der Auftrag des Aeltesten
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